Von „Herrgottswerschtscher“ und Hackbraten, Stammtischen und Skatbrüdern

Bischofsheimer Traditionsgaststätte „Zur Germania“ hat die Pforten geschlossen

Ein Nachruf von Professor Dr. Wolfgang Schneider

Der Aushang mit kurzer Botschaft war schnell im Ort verbreitet: „Der Kröcker“ schließt! Nach 161 Jahren ist Schluss, aus gesundheitlichen Gründen. Und eine große Fan­gemeinde bedauert den Schritt zutiefst. Johann Georg Kröcker hatte die Gaststätte 1863 eröffnet und diese blieb mit Unterbrechungen in der Hand der Familie. 1869 wurde dort der Männergesangverein „Germania“ gegründet, in einer Zeit, in der der Name Programm war. Einerseits entstammte er der demokratischen Bewegung als romantisches Sinnbild für den angestrebten deutschen Nationalstaat, andererseits ist die „Germania“ oberhalb von Rüdesheim mit Blick über den Rhein die martialische Verkörperung zum Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 geworden.

 

„Der Beliebtheitsgrad war unermesslich“

So war es sicher auch naheliegend, dass die Faschisten in ihren nationalistischen zwölf Jahren die Gastwirtschaft zu ihrem Parteilokal machten. Während diese Geschichte noch recherchiert und geschrieben werden muss, gibt es viele Zeitzeugen seit der Nachkriegszeit, die Auskunft geben können, was die „Germania“ gesellschaftlich für die Gemeinde bedeutet hat. „Es war immer was los, es wurde viel erzählt, es gab immer was zum Zuhören“, sagt Konditormeister Rolf Sauer (74). „Der Beliebtheitsgrad war unermesslich“, ergänzt „Germania“-Sänger Willi Wolf (88). Und die Beigeordnete Ulla Powilat (69) ergänzt: „Sämtliche Familienfeiern, von der Taufe über die runden Geburtstage, Hochzeiten und Beerdigungen fanden dort statt.“

 

Populär war nicht nur die Gastronomie, sondern auch die schon früh dazugehörige Metzgerei, vor allem aber die Kegelbahnen. Willi Wolf erinnert sich an viele Kegelclubs, die allesamt ihre „Kegelbuben“ hatten, deren Aufgabe das Aufstellen der Kegel war. Da gab es die Gesellschaft Edelweiß „mit dem Kaffee-Lahm und dem „Schlosser-Jakob“ und Ulla Powilat ergänzt: „Auch andere Geschäftsleute kegelten, wie ihr Schwiegervater, Friseur Philipp Pfeifer und der letzte noch lebende Kegelbruder, Werner Schmidberger.“ Rolf Sauers Kegelclub „Bluns“ besteht seit 50 Jahren „und danach ging es ins Lokal“ und trafen dort auf Skatbrüder und Jahrgangsrunden. Das wird fehlen, sagen alle, denn wohin am Abend, wenn die Singstunde, ehrenamtliches Engagement oder sportliche Aktivitäten enden?

 

„Das beste Kotelett weit und breit“

Die Speisekarte war übersichtlich und geprägt von gutbürgerlicher Küche, dafür sorgten Vater Hans-Jörg und Sohn Frieder über Jahrzehnte mit hoher Qualität. „Hier gab es das beste Kotelett weit und breit“, schwärmt Rolf Sauer und erzählt vom „Spargelsalat“ im Sommer und dem Teller mit „Züngelche“ im Winter. „Herrgottswerschtscher“, luftgetrocknete Mettwurst, gab es für den schnellen Hunger, auf Hackbraten und Rumpsteak musste man etwas warten. „Wir haben uns oft gewundert“, sagt Willi Wolf, „dass die Bestellung dann immer gleichzeitig pro Tisch gereicht wurde“, zunächst nur mit Brot, „später auch mit Pommes oder Kroketten“. 

 

Heide Kröcker hatte das „Kommando“ im Gastraum, sie wusste zumeist, wer was an Getränken bestellt, Äppelwoi oder Bier. Sie hat an Rosenmontag geschmückt und auch wegen der Live-Musik war das Lokal „gerappelt voll“. Zudem hat sie viele Jahr Busausflüge zu den Bregenzer Festspielen organisiert. Kein Wunder, „dass es im Ort hieß: mir geh‘n zur Heide“, resümiert Willi Wolf, der selbst jeden Freitag seinen Stammtisch hatte.

 

Zur Silberhochzeit von Heide und Hansjörg Kröcker schrieb Dieter Press vom Lokal-Anzeiger ein Gedicht, das die besondere Wertschätzung der „Gaststätte zur Germania“ in der Bevölkerung zum Ausdruck bringt:

„Alle Leut mit Rang und Namen, hin zu Hans und Heide kamen.

Ums Jubelpaar wogt wie ein Meer, stets ein Gratulantenheer.

E Zelt is do, en Musikant, die Gäste: außer Rand und Band.

Dess Blumenmeer war unbeschreiblich, es reicht vun vorne hie bis seitlich.“

Gefeiert wurde zur Kerb im Hof, ansonsten konnte man das „Sälche“ im ersten Stock oder das „Stübbche“ im hinteren Bereich des Gastraums mieten. Alle Gewährsleute bekunden, dass im Gegensatz zu einem Bericht in einer Tageszeitung der Betrieb bis zum Schluss ausgebucht war. 

 

Post Scriptum: Schon 2002 durfte ich mit dem Protokoll in der Bütt bei der „Närrischen Achse“ auf die kulinarische Schieflage in unserer Gemeinde hinweisen: „Doch wo gibt’s Schnitzel vun de Wutz? Stellt de Kröcker unner Denkmalschutz!“ Zu spät! 



neuesausdermainspitze.de // 16.01.2025