Es war eine beeindruckende Gedenkveranstaltung an einem ungewöhnlichen Ort, zu der die Gemeinde Bischofsheim, der Heimat- und Geschichtsverein sowie die christlichen Kirchen eingeladen hatten.
Am 27. Januar 2025 jährte sich zum 80. Mal die Befreiung des Konzentrationslagers und anlässlich des internationalen Gedenktages versammelten sich mehr als 100 Bürgerinnen und Bürger am sogenannten „Siege-Block“ der früheren Mainzer „Siedlungsgesellschaft für das Verkehrspersonal“ am Alten Gerauer Weg. Dort wurde 1934 unter großer Beteilung der Bevölkerung die Geschäftsstelle der NSDAP eröffnet. Bürgermeisterin Lisa Gößwein spannte in ihrer Rede den Bogen von damals zu heute und reagierte mit „Entsetzen und Unverständnis“ auf rechtsextreme Tendenzen in der Gesellschaft. Pfarrerin Katharina Meckbach plädierte dafür, trotz alledem „Mut und Courage zu zeigen“ und sich dem rassistischen Gedankengut der Gegenwart entgegenzustellen. Erwin Frank und seine Töchter Katrin Weber und Elena Schramm vom Evangelischen Posaunenchor begleiteten das Gedenken musikalisch. Die Rede von Professor Dr. Wolfgang Schneider, Erster Beigeordneter und Mitglied im Arbeitskreis Stolpersteine, dürfen wir in gekürzter Fassung in unserer Zeitung veröffentlichen.
Gedenken an die Opfer, Erinnerung an die Täter
„Wir gedenken heute den Opfern des Nationalsozialismus. Anlass ist die 80. Wiederkehr der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Der Name Auschwitz steht für den massenhaften, von den Nazis industriell organisierten und unerbittlich vollstreckten Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Verfolgt und systematisch ermordet wurden dort und in anderen Lagern Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, Kommunistinnen und Kommunisten, Schwule, Behinderte, Sinti und Roma sowie Menschen aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern.
Wir gedenken den Opfern. Aber was ist mit den Tätern, von denen die Opfer gedemütigt und entrechtet, zur Flucht getrieben oder deportiert und umgebracht wurden? Ja, es gab auch in Bischofsheim Nationalsozialisten, aktive und passive, überzeugte Faschisten und naive Mitläufer. Und bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 waren es 1662 Wählerinnen und Wähler, fast 50%, die der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei ihre Stimme gaben.
Unsere heutige Gedenkveranstaltung findet an einem besonderen Ort statt, am sogenannten „Siege-Block“ Am Alten Gerauer Weg. Hier wurde am 3. Juni 1934 die Einweihung der Geschäftsstelle der NSDAP gefeiert. Wir haben im Archiv des HGV ein Foto gefunden, das jenes Ereignis dokumentiert. Im Lokal-Anzeiger kann man unter „Bischofsheimer Angelegenheiten“ nachlesen: „War man schon überrascht über die prächtige Ausschmückung des vor der Geschäftsstelle liegenden freien Platzes, so bot sich dem Auge ein imposantes Bild, als die S.A.-Formationen, der B.D.M., die beiden Gesangvereine und recht viel Volksgenossen, auf dem in eine hübsche Anlage umgewandelten Platze, Aufstellung genommen hatten.“
Die Hakenkreuz-Fahne wurde gehisst und es wurde denen gedankt, die mit hohen „Beträgen den Beweis lieferten, dass man der Arbeit der Ortsgruppe großes Interesse entgegenbringt“. Und es wurde das „Horst-Wessel-Lied“ gesungen. Schon in der ersten Strophe wird zum Mord von Andersdenkenden aufgerufen: „Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt. Kam’raden, die Rotfront und Reaktion erschossen. Marschier’n im Geist in unser’n Reihen mit.“
Das alles passierte in aller Öffentlichkeit. Man kann also nicht sagen, die Bischofsheimer hätte nichts gewusst, wozu die Faschisten fähig sind. Sie waren unter anderem mit der „Hitlerjugend“ und dem „Bund Deutscher Mädels“ fest verwurzelt in der Gemeinde. Die Vereine waren gleichgeschaltet, die Vorsitzenden der Männergesangvereine Germania und Liederkranz wurden von der NSDAP benannt, der aus der Arbeiterbewegung stammende Männergesangverein Eintracht verboten. „Die Vereine gaben sich nach 1933 recht patriotisch“, schreibt Hans Leoff, langjähriger Sprecher des Vereinsrings, in dem 1988 veröffentlichten Buch „Die Mainspitze unterm Hakenkreuz“. „Sie waren u.a. Beiwerk bei fast allen Parteiveranstaltungen. Sie gaben den volkstümlichen Rahmen und halfen so unbewusst und auch unbeabsichtigt der Partei zu einer breiten Basis in der Bevölkerung.“
Wir gedenken den Opfern, wir sollten uns aber auch mit den Tätern beschäftigen, und haben sie noch so „unbeabsichtigt“ mitgemacht. Bereits zu Silvester 1933 hat der Herausgeber Adam Horst ein Gedicht veröffentlicht, das deutlich macht, dass politischen Gegnern Konzentrationslager droht:
„Singt ein Sänger seine Strophen, oder einer kommt mal nach Osthofen,
weil er sich hinein nicht fügt,
dass das dritte Reich gesiegt.“
Wer sehen wollte, hätte sehen müssen, wohin eine nationalistische Politik führen kann, zu Diskriminierung und Ausgrenzung sowie zur Inhaftierung in einem der ersten Konzentrationslager im rheinhessischen Osthofen. Wer wie die AfD all die Verbrechen der Nazis einen „Fliegenschiss in der Geschichte“ nennt, Remigration zum populistischen Wahlkampfthema macht und wer sich mit einem wie Elon Musk verbündet, der ungeniert mit Hitler-Gruß antisemitische und rassistische Botschaften im Netz verbreitet, der legt die Axt an unsere demokratische Gesellschaft. Wir dürfen nicht nur dem Gestrigen gedenken, sondern wir müssen auch im Heutigen handeln: Wehret den Anfängen!“
Professor Dr. Wolfgang Schneider
Fotos: Klaus Friedrich
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