„Multikulti war mir immer wichtig!“

Ali Kadir Tanriverdi hat als kurdischer Alevit eine neue Heimat gefunden

Geboren wurde er 1968 „in einer Ackerfurche“ in Ost-Anatolien, erlebte den Militärputsch in der Türkei 1980 als „sehr schwere Zeit“ der Unterdrückung. Er durfte nicht seine Muttersprache Kurdisch sprechen und als Alevit nicht seinen Glauben leben: Ali Kadir Tanriverdi. Mit 13 Jahren floh er zu seinem Vater nach Deutschland, der bei Opel Arbeit finden konnte. Mittlerweile hat er seinen ersten Wohnsitz in Bischofsheim, ist seit der letzten Kommunalwahl dort Gemeindevertreter der SPD, und ein äußerst geschäftstüchtiger und selbstbewusster Deutscher geworden.

 

Wir treffen uns in seinem Reisebüro in der Rüsselsheimer Innenstadt, umgeben von einer türkischen Diaspora, vor allem von zahlreichen Dönerläden. Es gibt „Cai“, den schwarzen Tee vom Bosporus, zusammen mit einem „Simit“, ein ringförmiges Hefegebäck mit Sesam. Ali erzählt mir von seiner „zweiten Schulzeit“, in der er schnell Deutsch lernen konnte, auch wenn der Rektor der Parkschule das mit den Worten „Das wird nix; denn du kommst vom Dorf, kennst nur Ziegen und Schafe“ bezweifelte. Nichtsdestotrotz ist aus ihm etwas geworden: Ausbildung als Metalltechniker, Anstellungen in der Automobilindustrie, bei VDO und Opel. Heute ist er selbständiger Unternehmer mit Shuttle-Service am Flughafen und zehn Mitarbeitern in der Tourismusbranche.

 

Ausländerfeindlichkeit auf dem Fußballplatz

„Ich kämpfe schon mein ganzes Leben lang“, sagt er stolz und verweist nicht nur auf seinen beruflichen Erfolg, sondern auch auf seine Ehrenämter. Mit 20 Jahren gründet er und Freunde den „Sportverein Dersim Rüsselsheim“ spielt Fußball, wird Stürmer und Vorsitzender, mit allen Widrigkeiten der Zeit. „Vor allem im Südkreis begegnete uns auf dem Platz und im Publikum eine Ausländerfeindlichkeit, die uns vor den Spielen zittern ließ.“ Die 11 Spieler kamen aus sechs Nationen und hielten zusammen. Den Aufstieg von der B-Klasse zur A-Klasse feierten aber Tausende Fans und Ali wurde Ehrenpräsident; denn „Multikulti war mir immer wichtig!“

 

Und dann kommt er zum eigentlichen Thema: „Das, was da derzeit in Syrien mit den Aleviten passiert, das ist Völkermord!“ Und das kennt er aus der Türkei. Seine Heimatstadt Dersim hätten mehr als 80% der Bevölkerung verlassen, rund eine Million Aleviten seien in den letzten Jahrzehnten nach Deutschland geflüchtet. Sie beten in fast 300 Gemeindehäusern, dem „Cem“. „Und sie sind demokratische und sozial engagiert“, sagt er und auch seine oberste Maxime sei die „Integration“. „Ich bin Deutscher geworden; denn, wenn ich zwei Wochen in der Heimat bin, fühle ich mich dort ganz fremd!“

 

Hoffnung auf eine friedlichere Welt

Ali Kadir Tanriverdi hat schon seine Biografie geschrieben, auf Türkisch unter dem Titel „Bizim Baskan“ („Unser Präsident“) und sie beginnt mit einem selbstverfassten Gedicht, eine Ode an die Mutter, die zehn Kinder zur Welt gebracht hat: „Sie hat ein schönes Gesicht, wie die Sonne. Wenn ich dich ansehe, kann ich lächeln.“ Zwischen all den Anrufen, die ihn bei unserem Gespräch erreichen, wird der kurdische Alevit besinnlich, freut sich über seine familiären Bindungen, über Tochter und Sohn, und schon jetzt auf das Fastenbrechen und die Silvesterfeier, „trotz aller Unterschiede hoffentlich in einer friedlicheren Welt, in der jedes Leben es wert ist, es leben zu dürfen.“ 

 

 

Professor Dr. Wolfgang Schneider



neuesausdermainspitze.de // 27.03.2025