Bericht in Schwarz auf Weiß

Schwarz und weiß, black and white, noir et blanc, dunkel und hell, pessimistisch und optimistisch, Nacht und Tag, Untergang und Aufbruch ... Schwarz und Weiß ist der Ursprung vieler Gegensätze. Die Farben stehen noch viel mehr als rot, grün oder gelb für Grundsätzliches. Ihre Zuordnungen zu Gefühlen und Stimmungen wurden in grauer Vorzeit geprägt, also in einer Zeit, in der in der Nacht noch Schrecken und Gefahren lauerten und es sicherer bei Tageslicht schien. Diese Zeit war ganz weit weg von dem Projekt der Moderne, das wir „Aufklärung“, „enlightenment“ oder „éclaircissement“ nennen. Dazu gehört das große Vorhaben per Vernunft, Licht in das Grau und Grauen der Geschichte zu bringen.

Eine künstlerische Verarbeitung des Themas bietet also viel Stoff zum Nachdenken und das war das Anliegen aller Beteiligten an der großartigen Schau, die im Laufe des März an vier Tagen im Heimatmuseum Bischofsheim vor einem begeisterten Publikum aufgeführt wurde. Spiritus Rector waren die Bischofsheimer Künstlerin Claudia-Eckstein-Strehlow und ihr Ehemann Manfred Strehlow. Sie fanden eine beeindruckende Schar von Mitstreiter:innen. Im Zentrum standen vier Gemälde in den Farben Schwarz und Weiß mit jeweils variierend verlaufenden Übergängen von Grau in allen Abstufungen. Sie bildeten, betitelt mit den Namen „Schaffen/Loslassen/Neubeginn I-IV“, die vier Eckpfeiler der Ausstellung mit fest umrissenem Programm, das alle Sinne zugleich ansprach.

Einer Raumsonde gleich, die Planeten erkundend glitten die Augen der Zuschauer und Zuhörer über Bilderlandschaften in zerflossenem, zerhackten, klar abgegrenzten aber auch verrutschtem Schwarz und Weiß. Die von Musik umrahmten und gesteuerten Fahrten rückten Details ins Zentrum, die sonst nur sehr aufmerksame Betrachter die Chance gehabt hätten zu entdecken. Als virtuelle Pilotin für die Überflüge engagierte das Team die Musikerin Björk und erweckte Hector Berlioz zu neuem Leben. Direkt und authentisch bereichert hat jedoch vor allem der Komponist Marius Gregor Müller das Ereignis. Er saß selbst am Klavier und begleitete die genaue Betrachtung der Bilder von oben wie auch andere Teile des Abends mit eigens komponierten Stücken.

Das Rahmenprogramm zu diesen vier Variationen in Schwarz und Weiß wartete mit einigen Überraschungen auf. Der in der Nachbargemeinde Ginsheim aufgewachsene Historiker Ralf Roth präsentierte, ganz in schwarz und weiß gekleidet, einen Essay zu eben diesen Farben in der Geschichte, die vielfach als Komplementärfarben für rassistische Vorstellungen und ihren Folgen dienen. Gewitzt und mit einer Handbewegung seinem Vortrag das Grau aller Theorie nehmend zog er zur Illustration aus der tiefen Schwärze seines Jackets ein tiefes Rot hervor, und gab den abstrakten Zuordnungen der Menschen in Schwarz und Weiß das bunte Leben der vielfältigen Hauttönungen zwischen weiß-rosa und rot-braun zurück. Dazu kamen Kurzfilme und Nachdenkenswertes wie ein Gedicht von Wilfried Schmickler über die Gier, das von Kay Eckstein souverän rezitiert wurde. Große Aufmerksamkeit erzielte ebenfalls eine Preisrede, die von Wally Riesel gekonnt vorgetragen wurde und als deren Autorin nur Wenige die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren vermutet hätten.

All das führte unmittelbar nach der Pause zu einem Höhepunkt des Abends, einem in schwarz und weiß aufgeführten virtuosen Tanz von Sabrina Mayer und Kassandra Volkmann sowie dem Choreographen Ernst Michael Voigt. Alle drei tanzten nach einer speziell für die Bischofsheimer Aufführung angefertigten Komposition von Marius Gregor Müller. Gemälde, Videoinstallationen, Vorträge, Rezitation, Klavierspiel, Tanz und Gesang führten zum Beitrag der Kinder Josephine Winter und Lilli Fray und ihrem von Claudia Eckstein-Strehlow konzipierten Projekt der Freiheiten des Malens in und mit Schwarz und Weiß sowie dem Recht, Rot hinzuzufügen.

Über zwei Stunden zog sich das mit „Event“ nur zaghaft umschriebene Ereignis in Bischofsheim, das immer wieder von enthusiastischem Zwischenapplaus unterbrochen und langanhaltendem Klatschen noch nicht beendet wurde, weil sich das Publikum noch lange und intensiv, ernst und heiter bei Fettebrot und Gebäck in schwarz und weiß sowie einem badischen Blanc de Noir über die Impressionen des audiovisuellen Ereignisses ausgetauscht hat. So bleibt am Schluss der vier gelungenen Abende nur die Bemerkung: Schwarzweiß Hören und Sehen führt zum Verstehen.

Karin und Helmut Wehner



06.04.2023