Was haben Grimms Märchen, die Gutenberg-Bibel und Beethovens 9. Symphonie gemeinsam? Alle drei Artefakte sind bedeutende Zeugnisse unseres kulturellen Gedächtnisses und auf der Liste der UNESCO im Programm „Memory of the World“. Zwei Dutzend dieser Dokumente werden seit letzter Woche auf Tafeln in der Bücherei Bischofsheim präsentiert. Zusammen mit dem örtlichen Heimat- und Geschichtsverein zeigen sie „Wendepunkte in der Geschichte“.
Kulturprofessor Wolfgang Schneider hat die Ausstellung als neu berufenes Mitglied des Nationalkomitees zum „Weltdokumentenerbe“ in seine Heimatgemeinde geholt und die Vernissage mit einer fulminanten Inszenierung gestaltet. Ihm gelang es, mit der Patenschaft durch lokale Prominenz großes Interesse zu wecken, die informative Einblicke in sieben unterschiedliche Werke gewährte. Rund 75 Besucher applaudierten zwischen den Bücherregalen den klugen Beiträgen.
Das Weltdokumentenerbe zeigt nicht nur die Sonnenseiten der Geschichte. Staatsanwalt a.D. Manfred Stotz widmete sich den Verfahrensunterlagen zum Frankfurter Auschwitz-Prozess, die den millionenfachen Mord der Nationalsozialisten an Juden, Minderheiten und politischen Gegnern in die deutsche Öffentlichkeit rückte. Er verlas emotional ergriffen Passagen aus der Anklageschrift.
Stefan Finkenauer, Organist in Christkönig, erläuterte die künstlerischen Raffinessen der H-Moll-Messe von Bach und zelebrierte die „Ode an die Freude“ als gemeinsames Chorerlebnis. Märchenerzählerin Edelgard Rabe las eindrucksvoll die Geschichte von „Strohhalm, Kohle und Bohne“. Und Doktor Oliver Bresler zitierte aus dem mehr als 1000 Jahre alten Lorscher Arzneibuch. Er verriet mit Augenzwinkern frühere Rezepte zur Heilung von Gicht durch „animalische Wärme“ eines frisch geschlachteten Esels oder die Herstellung einer Salbe aus Storchenküken und Bärenfett, die er selbst aber heute nicht mehr verschreiben würde.
Pfarrer Bardo Maria Haus nutzte seine besondere Begabung und intonierte im Stil gregorianischer Gesänge den Prolog des Johannes-Evangeliums aus der Gutenberg-Bibel, den er zuvor in lateinischer Sprache zum besten gab. Die Darbietung von Pfarrerin Katharina Meckbach stellte Luthers Thesen aus 1517 in den Mittelpunkt. Ihre Interpretation der Reformation mündete im Aufruf: „Habe Mut zur Veränderung.“ Professor Joachim-Felix Leonhard vom Vorstand der UNESCO verwies bei seinen Ausführungen auf den Wert der Dokumente „als Wissensquelle für die Gestaltung heutiger und künftiger Gesellschaft“ hin.
Die Ausstellung kann bis Ende Juni 2023 zu den Öffnungszeiten der Bücherei besucht werden.
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