Urgestein der Eisenbahnergemeinde

Reinhard Schellhaas weiß Geschichte und Geschichten zu erzählen

Er ist wahrlich ein ordentlicher Zeitgenosse, vieles aus seinem Leben ist in Ordnern gesammelt und zu allen Dokumenten kann er Geschichten erzählen. Die Tagebücher der Großmutter und vom Vater hat er transkribiert, Zeitungsartikel zur sportlichen und beruflichen sowie zum Ehrenamt in Heimatverein, Kirche und Politik abgeheftet und voller Stolz präsentiert er mir seine Ahnenforschung drei seiner hiesigen Familien, die allesamt bei der Bahn beschäftigt waren. „Ich war der erste männliche Nachfolger, der nicht im Bahnhof gearbeitet hat“, sagt Reinhard Schellhaas, Jahrgang 1941, bestens bekannt in Bischofsheim, ein Urgestein der Ortsgeschichte.

 

Bahnbedienstete aus Familien­tradition

Der Urgroßvater baute mit an der Alten Station, die 1858 durch die Hessischen Ludwigs-Eisenbahn vom Großherzog aus Darmstadt eröffnet wurde, und aus dem Bauerndorf eine Eisenbahnergemeinde machte. Er war Weichenwärter, der Sohn Stellwerksmeister und der Enkel Lokführer; ebenso wie Daniel Will, der die Enkelin ehelichte und deren gemeinsame Tochter den Bundesbahn-Oberamtsrat Ernst Schellhaas heiratete, den Vater von Reinhard Schellhaas. Verankert war die Familie auch durch die Geschwister Oerter, die an der Mainzer Straße/Ecke Dammgasse in einem „Colonialwarenladen“ unter anderem „Drogen und Parfümerien“ feilboten. Der Stammbaum reicht bis ins Jahr 1643 zurück, „und auch Bürgermeister waren dabei“.

 

Güterhalle als Umschlagplatz

Der Vater war zeitweise an die „Ostfront“ versetzt worden und im Dienst der Wehrmacht zuständig für den Bahnhof in Minsk. Auch die Besatzungszeit ist in Erinnerung geblieben. „Der Steg war von Soldaten der US Army abgesperrt und nur Kinder durften passieren“, bettelten um „Chewing Gum“. Durch den Personenbahnhof fuhren Gefangenentransporte und die Mutter verteilte Lebensmittel. Die Güterhalle wurde zum Umschlagplatz für die Paketpost, die Kohlenhändler Nauth, Guthmann sowie Schrimpf-Powilat und die Firma Fisch-Nothnagel entluden ihre Waren. 

 

Sport als Lebenselixier

Sport war Reinhard Schellhaas‘ Lebenselixier und gerne wäre er Leistungssportler geworden. Er gehörte zur jungen Riege des Turnvereins, später zu den Leichtathleten der SV 07. Er spielte Faustball, übte sich im Zehnkampf, war über 400 und 800 Meter bei Bezirksmeisterschaften vorne dabei und verpflichtete sich für zwei Jahre bei der Sportkompanie der Bundeswehr. Letztendlich wurde er aber zum Berufsschullehrer ausgebildet, zunächst an der Technischen Universität in Darmstadt, dann an der in Berlin. 1964 kam es zu einer folgenreichen Begegnung auf Sylt. 

 

Ehrenamt als zweite Heimat

Beim Urlaub in einer Eisenbahner-Ferienwohnung lernte er Renate kennen, die dann zur Hochzeit von Kassel nach Bischofsheim zog, wo die Töchter Natascha und Maren geboren wurden. Auch Renate Schellhaas hat sich in zahlreichen Ehrenämtern verdient gemacht, unter anderem bei der Flüchtlingshilfe, für die sie stellvertretend den Bürgerpreis der Gemeinde erhielt. Ihr Mann war langjähriges aktives Mitglied im Heimat- und Geschichtsverein, in Vorstand, Posaunenchor und bei den Pfadfindern der Evangelischen Kirche, die er als seine „zweite Heimat“ in der Eisenbahnergemeinde bezeichnet.

 

Professor Dr. Wolfgang Schneider



16.05.2024