Kind und Karriere zusammenbringen

Bundestagsabgeordnete Melanie Wegling

„Einen Cappuccino“, bestellt die Bundestagsabgeordnete Melanie Wegling (SPD). Als sie das liebevolle Schokopulver-Herz auf dem Milchschaum entdeckt, verzieht sich eine Wolke am Himmel und mir knallt die Sonne ins Gesicht. „Wir können uns auch gerne hier hin setzen“, schlägt sie vor. Ich nehme dankend an. – Ihr Gespür für das, was um sie herum passiert, prägt das Interview im Eiscafé am Friedrich-Ebert-Platz und verschlägt sie zurück in ihre Kindheit: „Ich möchte Dachdecker – wie mein Vater – werden“, schrieb Melanie in die Poesiealben ihrer Grundschulfreunde. Ein Berufswunsch, der sich beim Heranwachsen veränderte. Vor zwei Jahren holte die studierte Politikwissenschaftlerin das Direktmandat bei der Bundestagswahl und sitzt seitdem als Abgeordnete im Deutschen Bundestag.

 

„In meinen ersten Wochen traf ich viele extrovertierte Abgeordnete und zweifelte, ob ich für den Job geeignet bin, wenn ich dieses Spiel nicht mitspiele“, erinnert sich Melanie Wegling. Schon in ihrer Jugend fragte sie sich, ob sie anders sein müsse: „Viele bezeichneten mich als zurückhaltend und schüchtern. Als ich erkannte, dass ich meinen Akku nicht in Gesellschaft, sondern alleine oder mit der Familie auflade, lernte ich Sätze wie »das muss man so und so machen« zu ignorieren. Heute denke ich, dass mein Erfolg darauf basiert, dass ich so agiere, wie ich bin.“


Melanie Wegling (SPD) engagiert sich als Stadtverordnete von Ginsheim-Gustavsburg und ist Bachelor der Politikwissenschaft und Sinologie (Chinawissenschaften) sowie Master of Modern East Asian Studies. Sie lebt mit ihrem Mann Peter Widera, ihrer elf Monate alten Tochter und ihrem 2-jährigen Sohn in Ginsheim. Letzterer besitzt einen Spielzeugwerkzeugkasten, mit dem er Melanies Vater – dem Dachdecker-Meister Mario Wegling – nacheifert.



„Die Chance meines Lebens“ Melanie Wegling über ihr Mandat

 

„In der Kommunalpolitik lernte ich Kompromisse zu schließen“

Die politische Arbeit in Berlin ähnelt dem Engagement, das Melanie als ehrenamtliche Stadtverordnete in Ginsheim-Gustavsburg kennenlernte: „Um Projekte voran zu bringen, arbeite ich mich in Themen ein und versuche Leute mit ins Boot zu holen.“ Um die Gleichberechtigung und Rolle der Frau zu verbessern, möchte die Bundestagsabgeordnete an der Stellschraube der Steuerklassen drehen. Derzeit entstehe in Familien ein verzerrtes Bild über den Wert der Arbeit des Partners, der weniger verdient. „Das ist zwar Teil unseres Koalitionsvertrages, aber wenn es niemand proaktiv nachfragt, reicht das nicht aus“, so Melanie Wegling, die das Thema auf die Agenda des Finanzministeriums brachte.

 

Elternzeit aufgeteilt

„Als mein Mann und ich uns mit der Frage der Familiengründung beschäftigten, fragte mich Thomas Will (SPD-Landrat des Kreises Groß-Gerau), ob ich für den Bundestag kandidieren wolle.“ Trotz schlechter Umfragewerte für die SPD empfand Melanie das Direktmandat in greifbarer Nähe. „Mein Mann (Peter Widera, Wirtschaftsingenieur) war von Anfang an mit dabei und ich sah in der Kandidatur eine einzigartige Chance der Persönlichkeitsentwicklung. Einen Entweder-Oder-Moment gab es nie. Wir wollten Vorbild sein, wie man Kinder und Karriere zusammenbringt“, denkt Melanie zurück. Für ihren taffen Umgang mit Familiengründung und Politik spricht eine Stadtverordnetenversammlung, an der sie mit Wehen teilnahm, bevor sie in der Nacht danach ihren Sohn Anton im Frankfurter Geburtshaus zur Welt brachte, ein Wahlkampf, indem sie mit Säugling auf der Brust mit wippender Körpersprache Reden hielt und Zugfahrten zu den Sitzungswochen nach Berlin mit ihrer heute elf Monate alten Tochter Klara. Letztere bezeichnet die zweifache Mutter als „den anstrengenden Teil“: „Mein Mann und ich sind sehr durchorganisiert, damit alles gut funktioniert. Aber alleine mit einem zu stillenden Kleinkind mit dem Zug nach Berlin und zurück zu fahren, ist eine besondere Herausforderung“, erzählt Melanie und räumt ein, dass sie ihr Ginsheimer Familienleben während der Sitzungswochen vermisst: „Es berührt mich sehr, wenn mein Sohn sagt »Mama soll nicht arbeiten gehen« und wir uns von Montag bis Freitag nur per Videoanruf sehen.“

 

Großen Respekt zollt Melanie Wegling Rolf Mützenich, ihrem Fraktionsvorsitzenden im deutschen Bundestag. „Er hält die Meute von 206 SPD Abgeordneten zusammen, die – im Gegensatz zu ihrer Arbeit in den Wahlkreisen – in Berlin nur einer von vielen sind. Ich bewundere seine Ruhe, Leidenschaft und dass er auch junge Abgeordnete in Verantwortung bringt.“ Als unangenehm empfindet Melanie Bemerkungen einiger AfD-Abgeordneten und sagt: „Konfrontation mit Rassismus, Homophobie und menschenverachtendem Populismus ertrage ich schwer.“

 

„Ich will der Sache auf jeden Fall treu bleiben“, sagt die 33-Jährige zu ihrer politischen Zukunft. Bevor sie höhere Ämter begleitet, wolle sie zwar noch etwas mehr Erfahrung in der Bundespolitik sammeln, Positionen wie Ministerin oder Kanzlerin schließt sie aber nicht aus.

Axel S.


27.07.2023