Mobilitätswende in GiGu – was ist seit einem Jahr passiert?

Nicht zu übersehen: Seit einem Jahr fahren gelbe Fahrräder und weiße Autos durch Ginsheim-Gustavsburg und rufen leise „miete mich!“. Was die einen als „gewöhnungsbedürftig“ beschreiben, erzeugte bei anderen ein Freiheitsgefühl. Räder und vor allem Autos nicht mehr zu besitzen, sondern sie nur dann zu leihen, wenn man sie braucht, ist ein moderner Gedanke, der GiGu im wahrsten Sinne des Wortes etwas grüner machte. Seit einem Jahr kennzeichnen parkplatzgroße Bodenflächen in der Farbe der Hoffnung die Orte, an denen die Leihräder und sogenannten Carsharing-Fahrzeuge (engl. „Carsharing“ = dt. „Autoteilen“) gemietet werden können.

Die spannende Frage: Leihen sich die Ginsheim-Gustavsburger – heute nach einem Jahr – regelmäßig einen fahrbaren Untersatz?  Wir sprachen mit Matthias Richter vom „Team Mobilität“ der Stadtverwaltung. 

 

„Wenn man sich wie wir täglich mit den Themen »Raum, Bau und Umwelt« befasst, stößt man ständig auf das Thema Stellplätze für Autos“, erzählt Matthias Richter. „Im Team Mobilität widmeten wir uns dieser Problematik von einer anderen Seite. Die Idee ist, den Bürgern von GiGu eine Alternative zum eigenen Fahrzeug zu bieten und dadurch die Anzahl von geparkten Autos zu reduzieren.“ 

Für die neuen Mobilätsangebote kooperiert die Stadtverwaltung mit der Mainzer Mobilität (sie stellen das gelbe MVGmeinRad) und book-n-drive Carsharing (dieser Anbieter stellt die weißen Autos). 

Auffällig ist, dass seit der Einführung der grünen „Mobilitätsstationen“ der städtische Fuhrpark vor den Rathäusern schrumpft, was Matthias Richter als einen ersten Erfolg der angestoßenen Mobiliätswende wertet. „Wir Stadtmitarbeiter nutzen die book-n-drive Autos für Dienstfahrten. Allerdings sorgt die wachsende Zahl der Nutzer dafür, dass das Fahrzeug am Friedrich-Ebert-Platz (Matthias arbeitet im Rathaus Ginsheim) manchmal on tour ist, wenn ich es buchen möchte. Dann schnappe ich mir ein gelbes MVGmeinRad und fahre in die Bouguenais-Allee. Dort steht ein weiteres Auto“, so der Mitarbeiter des Fachbereichs „Raum, Bau und Umwelt“. Auch bei Bürgern gebe es bereits den Trend, auf die Erneuerung von Zweitwagen zu verzichten und den Bedarf mit den Carsharing-Fahrzeugen zu kompensieren. 

 

70 Räder und vier Autos

Spöttische Kommentare gab es vor einem Jahr vor allem zur Vielzahl der Standorte der gelben Räder. Insgesamt elf Fahrradverleihstationen installierte die Verwaltung mit dem Team von MVGmeinRad im Stadtgebiet, so dass man – egal, wo man sich in GiGu befindet – nur wenige Minuten laufen muss, bis man auf ein Rad umsteigen kann. Die Kritik traf damals vor allem Stationen in Randgebieten, wie die am Gustavsburger Friedhof. „Am Bahnhof meinetwegen – aber warum braucht man da hinten am Friedhof Leihräder?“, sagten einige. Sprechen wir heute mit Nutzern, ist erkennbar, dass gerade die Lückenlosigkeit des Stationsnetzes den Wert des Angebotes ausmacht. „Ich wohne in der Albrecht-Dürer-Straße, habe keinen Bock zu laufen und der Bus kommt erst in zehn Minuten“, sagt eine Studentin, die am Gustavsburger Bahnhof von der S-Bahn auf’s Leihrad umsteigt und offensichtlich die Station am Friedhof ansteuert. Im Gespräch mit Nutzern wird außerdem deutlich, dass die meisten ein eigenes Fahrrad besitzen. Die gelben Leihräder erhöhen für sie aber die Flexibilität bei der Nutzung des ÖPNV. So fahren einige beispielsweise bei Regen mit dem Bus nach Mainz und radeln bei Sonnenschein mit dem MVGmeinRad zurück. 

Da es vorkommt, dass an Stationen mehr Räder entnommen als zurückgegeben werden, checkt der Anbieter MVGmeinRad regelmäßig die Kapazitäten und füllt bei Bedarf auf. 

„Unsere Räder sind kompatibel mit den Stationen in Kostheim, Kastel, Mainz und Wiesbaden. Toll wäre es, wenn sich Bischofsheim mit Fahrradverleihstationen anschließt, denn gerade Ginsheimer nutzen häufig den dortigen Bahnhof. Diesen auch mit gelben Leihrädern erreichen zu können, wäre ein weiterer wertvoller Mobilitätsbaustein für die Mainspitze“, so Matthias Richter. Auf Rückfrage informierte Ingo Kalweit, der Bürgermeister von Bischofsheim, darüber, dass das Thema bereits vorbereitet wurde und im Herbst zur Abstimmung in die politischen Gremien ginge. Bei einer positiven Entscheidung sei mit einer Einführung der Räder in der zweiten Jahreshälfte 2022 zu rechnen, was vermutlich nicht nur das „Team Mobilität“ von der Stadtverwaltung GiGu freuen würde. Viele nach Mainz und Wiesbaden orientierte Bürger nutzten das MVGmeinRad schon vor September 2020. Seit der Einführung in GiGu verzeichnete der Anbieter mehrere hundert neue Nutzer in Ginsheim-Gustavsburg. Auch mit den Anmeldungen für’s Carsharing ist Matthias Richter zufrieden, obwohl ihm nur der Überblick der von der Stadtverwaltung registrierten Nutzer vorliegt (es gibt weitere Anmeldestationen in Groß-Gerau, Mainz usw.). Allein über 70 Leute meldeten sich im Rathaus Ginsheim an, was für die vier verfügbaren Fahrzeuge (zwei in Ginsheim, zwei in Gustavsburg) eine mehr als zufriedenstellend Auslastung im ersten Jahr darstellt.

 

„Mobilitätswende in GiGu ist mehr als gelbe Räder und weiße Autos“

Begeistert ist das Ginsheim-Gustavsburger Mobilitätsteam darüber, dass sich neben den öffentlichen Mietangeboten für Fahrräder und Autos weitere Angebote entwickeln. „Die Baugenossenschaft schaffte für die Wohnblöcke »Unter der Ruth« (für Außenstehende: Die Straße heißt wirklich so! :-) ein Lastenrad an, dass unkompliziert über eine WhatsApp­Gruppe verwaltet und von allen Mietern kostenfrei genutzt werden kann“, erzählt Matthias zufrieden und fügt hinzu: „Wir freuen uns über dieses Angebot und hoffen auf Nachahmer“. Auch privat – bei seinen Kindern im Führerscheinalter – spürt er eine veränderte Haltung im Vergleich zu seiner Jugend. „Die Zeiten, wo junge Menschen unbedingt eine Fahrerlaubnis und ein eigenes Auto wollen, sind vorbei“, so der 38-Jährige.

Gut zu wissen: Als Service für alle Radler bietet die Stadtverwaltung – gesponsert durch Radsport Smit und unabhängig von der Miete eines Rads – öffentlich zugängliches Werkzeug und Luftpumpen für Fahrräder. „Es gibt zwei Fahrrad-Reparaturstationen in Ginsheim-Gustavsburg. Eine am Ginsheimer Altrhein und eine in Gustavsburg, zwischen der Mainbrücke und der Sportanlage“, so Matthias Richter.

 

Carsharing reduziert Kosten der Stadtverwaltung 

Bei den Kosten wird deutlich, dass die Leihräder ein Service für die Bürger darstellt. 40.000 Euro fallen jährlich für die Bereitstellung an. „Die Herstell-, Lieferungs- und Montagekosten der elf Fahrradvermietstationen und die Anschaffung von 70 Fahrrädern in Höhe von rund 168.000 Euro haben der Kreis Groß-Gerau und die LNVG jeweils zur Hälfte bezahlt. Die Stadtverwaltung zahlt die jährlich anfallenden Betriebskosten. Die Pflege und die Wartung der Stationen führt die LNVG im Rahmen ihres Haltestellenmanagements durch“, so Bürgermeister Thies Puttnins von Trotha.

Spannend ist, dass die Stadtverwaltung durch das Carsharing sogar Kosten einspart. „Weil der Fahrzeugpool reduziert wurde, konnten wir die laufenden Kosten für die Dienstfahrzeuge senken“, so Matthias Richter.

 

 

Norbert Fluhr & Axel S.


Das »Team Mobilität« ist Teil des Fachbereichs „Raum, Bau Umwelt“ der Stadtverwaltung Ginsheim-Gustavsburg. Es besteht aus Andreas Hummel, Matthias Richter und Nicole von der Au, die sich aktuell in Elternzeit befindet. Für Nicole kam kurzfristig Mira Karlowski ins Team. Und „wir hoffen, dass wir sie länger »behalten« können, denn sie ist fachlich eine große Bereicherung“, so Matthias Richter.


Die Fahrrad-Verleihstationen befinden sich in …

 

Ginsheim:

· am Altrheinufer

· am Friedrich-Ebert-Platz

· in der Neckarstraße

· In der Nachtweid

· am Ballou-Platz

 

Gustavsburg:

· am Tegut

· am TIGZ

· am Bahnhof

· in der Bebelstraße

· am Fritz-Bauer-Platz

· am Friedhof

 

Die book-n-drive Fahrzeuge befinden sich in …

 

Ginsheim:

· am Friedrich-Ebert-Platz

· in der Bouguenais-Allee

 

Gustavsburg:

· am Rathaus (E-Fahrzeug)

· am Fritz-Bauer-Platz




30.09.2021